Zuerst branchenweite Panik gefolgt von Aktionismus, nun zwei Lager – die „Lasst es uns so gut wie möglich ignorieren“-Fraktion einerseits und jene andererseits, die das Potenzial für das eigene Unternehmen bereits erkannt haben. Nein, die Rede ist nicht von der Digitalisierung. Wobei die genannten Haltungen die Sache auch hier ziemlich gut auf den Punkt treffen. An dieser Stelle geht es vielmehr um die magischen drei Buchstaben und eines der Buzzwords der Immobilienbranche: ESG. Aus kommunikativer Sicht, versteht sich.
Denn sie wissen nicht, was sie tun
Das Pariser Klimaabkommen, bundesweite Klimaziele und nicht zuletzt die EU-Taxonomie haben in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass es sich kein Unternehmen mehr erlauben kann, das Thema Nachhaltigkeit nicht auf die eigene Agenda zu setzen. Und damit nicht genug. Plötzlich gibt es klar definierte Nachhaltigkeitskriterien, die es zu erfüllen gilt. Wobei „klar definiert“ hier dann vielleicht doch etwas hoch gegriffen ist. Bei aller verbleibenden Unsicherheit: Inzwischen gibt es sie, die unmissverständlichen Definitionen der ESG-Kriterien. Ausreden sind keine Option mehr. Und es scheint auch, als bräuchte es diese nicht mehr, denn alle wissen, E steht für Environmental, S für Social und G für Governance. So weit so gut. Fragt man nun jedoch weiter nach den Faktoren, die den einzelnen Kategorien zugeordnet sind, zuvorderst dem S und dem G, wird es häufig sehr schnell sehr still. Woran liegt das?
Nachhaltigkeit ist nicht nur grün
Die Antwort ist in vielen Fällen überraschend banal. Obwohl wir uns als Immobilienwirtschaft nun schon einige Jahre mit Nachhaltigkeit beschäftigen, fehlt immer noch bei vielen Branchenteilnehmer:innen das nötige Verständnis. Zumindest für die erwähnten zwei von drei Buchstaben. Das E steht schon länger hoch im Kurs. Ob Bienenstöcke, begrünte Dächer, Wildblumenwiese, Photovoltaik oder Grauwasseraufbereitung – solange es „grün“ ist, wird wie wild kommuniziert. Immer wichtiger wurden zuletzt auch Energieverbräuche, Daten und Transparenz. Ganz nach dem Motto: Sollen sie alle sehen, wie nachhaltig wir sind bzw. wie wir zu Nachhaltigkeit beitragen. Bei genauerer Nachfrage – vor allem, was die Verbräuche und deren Optimierung angeht – fallen die Antworten dann jedoch oft relativ knapp aus. Geht es nur allzu langsam voran, liegt das überraschend oft an anderen, zum Beispiel den Mieter:innen, die ihre Verbrauchsdaten nicht teilen wollen. Nichtsdestotrotz: Angesichts von Erderwärmung und der zunehmenden Überhitzung der Städte, Artensterben sowie drohender Ressourcenknappheit ist jeder Schritt Richtung Nachhaltigkeit und Emissionseinsparung nicht nur löblich, sondern vor allem entscheidend für den erfolgreichen Kampf gegen den Klimawandel.
Dummerweise bleiben dann noch das S und das G. Dass Nachhaltigkeit nicht einfach nur ökologische Aspekte umfasst, sondern die gesamte Unternehmenspolitik beeinflusst und das auf nahezu sämtlichen Ebenen – unangenehm. Wie leicht lässt es sich doch über das frisch angelegte Biotop mit all den netten Tierchen auf dem Grundstück der neuen Quartiersentwicklung schreiben und wie unsexy klingen dagegen Themen wie Aufsichtsrat, Arbeitssicherheit oder die gesellschaftlichen Auswirkungen des eigenen Produkts. Und das obwohl gerade hier jede Menge verstecktes Potenzial schlummert.
Mehr als nur eine Marketing-Masche
Die Auseinandersetzung mit E, S und G als Gesamtpaket bietet Unternehmen drei wesentliche Vorteile. Einerseits wirkt sich die aktive Kommunikation der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie selbstverständlich auf das allgemeine Image aus. Wird hierbei darauf geachtet, dass S und G genauso stark zur Geltung kommen wie das E, reduziert sich das Risiko wegen Greenwashings in die Schlagzeilen zu geraten immens. Denn so ärgerlich das für manch einen sein mag, hat die Öffentlichkeit inzwischen doch ein gewisses Gespür dafür entwickelt, was Marketing-Masche und was ernst gemeinte Bestrebung ist. Doch nicht nur das. Auch auf Personalebene zeigen sich positive Effekte gelungener ESG-Kommunikation.
So hat der anhaltende Fachkräfte- und Personalmangel dazu geführt, dass die Mitarbeiterzufriedenheit und damit verbunden geringe Kündigungsraten ein entscheidender Faktor für ein erfolgreiches Wirtschaften geworden ist. Gelingt es daher, den Angestellten glaubwürdig zu vermitteln, dass seitens des Arbeitgebers soziale, unternehmerische und ökologische Verantwortung übernommen wird, beeinflusst das die Einstellung der Mitarbeitenden gegenüber dem Unternehmen nachhaltig. Und es geht noch einen Schritt weiter.
Gerade bei dem schmerzhaften Thema Personalsuche kann die Beschäftigung mit ESG Unternehmen helfen, sich gegenüber der Konkurrenz abzusetzen. Denn ganz egal, in welchen Branchenzweig der Immobilienwirtschaft man blickt, es werden überall dringend Fachkräfte benötigt. Anders als früher reichen geregelte Arbeitszeiten und 25+ Tage Urlaub jedoch gerade der jungen Generation nicht mehr, um sich für einen Job zu begeistern. Hier braucht es mehr: Purpose, Werte und einen Plan für die Zukunft.
Und schon sind wir wieder beim oben beschriebenen Kommunikationsdilemma. Grün allein reicht nicht. Ethisches, nachhaltiges Handeln, sowohl unternehmensintern als auch extern, werden Untersuchungen zur Folge für Bewerber:innen zunehmend entscheidend. So zeigte eine Studie der Universität Bamberg, dass neben Weiterbildungsmöglichkeiten, flexibler Arbeitszeitgestaltung sowie Gesundheitsförderung Faktoren wie soziale Verantwortung, Offenheit und klare Strukturen eine wichtige Rolle spielen.
Eines sollte klar sein: Der obligatorische Obstkorb holt definitiv niemanden mehr hinter dem Ofen hervor – und bevor die Frage kommt: ein Kicker auch nicht.
Mehr Bewusstsein braucht die Branche
Damit Unternehmen die eben genannten Vorteile auch wirklich ausschöpfen können, braucht es jedoch vor allem eines: ein Bewusstsein für ESG. Und das gilt nicht nur für Unternehmen, sondern vor allem auch für all die Berater:innen und Agenturen.
Nur wer ein Verständnis dafür entwickelt, welche Aspekte welcher Kategorie zugeordnet werden, kann diese auch erfolgreich kommunizieren. Jetzt jedoch nicht direkt wieder in alte Muster verfallen und mit dem obligatorischen Bienenstock um die Ecke kommen. Spannende Themen aus dem Kriterienkatalog von S und G sind mindestens genauso schnell gefunden. Familienfreundlichkeit ist (nachweislich) gelebte Realität und bei der Wahl neuer Geschäftspartner:innen gilt Transparenz als oberstes Gebot? Wunderbar. Zack, schon kann es los gehen.
Plädoyer für mehr Mut
Lautet das Fazit bei der ESG-Kommunikation also „Einfach mal machen“? So ähnlich. Damit Unternehmen künftig wettbewerbsfähig bleiben und auch weiterhin kompetentes Fachpersonal finden, kann ich – in bewährter Strategiekollegen-Manier – nur einen Tipp geben: Kommuniziert euch! Es wird höchste Zeit, sich der ESG-Chancen bewusst zu werden und damit anzufangen, diese zu nutzen. S und G haben dabei den gleichen kommunikativen Enthusiasmus verdient, mit dem das E schon von Anfang an hochgehalten wird. Gleichzeitig ist das die Gelegenheit, interne Prozesse zu hinterfragen und das eigene Verhalten gegenüber Subunternehmen sowie Angestellten zu reflektieren. Die Zeit ist reif, packen wir es an.