„Willst du nicht auch noch was sagen?“ „Nun poste doch auch mal was bei LinkedIn!“ Aussagen wie diese sind keine Seltenheit in Unternehmen. An Kommunikationsexpert:innen adressiert hört man derlei aber natürlich nicht – die sind ja eh immer laut. Oder etwa nicht?
Wer am lautesten ist, ist auch ganz vorne. In der Immobilienwirtschaft (und nicht nur hier) scheint das eine weit verbreitete Haltung zu sein. Sicher, eine Marke, ein Produkt, eine Leistung muss sichtbar sein, um wahrgenommen und in letzter Konsequenz gekauft zu werden. Bricht man dies aber einmal auf die Menschen herunter, die hinter dem Firmennamen stehen, geht die Gleichung nicht mehr ohne weiteres auf.
Fehlannahme 1: Viele Worte, viel Kompetenz.
Wer nichts sagt, hat nichts zu sagen? Natürlich muss man – um einmal auf unser eigenes Feld zu schauen – als Kommunikationsberater:in kommunizieren, um die beauftragte Leistung zu erbringen. Und ja, Sprechen gehört hier zweifellos dazu. Doch gleichzeitig sprechen und aufmerksam zuhören ist eine Kunst, die die wenigsten beherrschen, sofern dies überhaupt möglich ist. Selbst Reden ist einfacher, ja sogar befriedigend, wie neurowissenschaftliche Studien der Harvard University zeigen, denn dabei sind die gleichen Hirnregionen aktiv wie bei Themen, die unsere Existenz sichern: Nahrung, Geld, Fortpflanzung. Die Studienlage deckt sich mit meinen Beobachtungen: Viele Menschen wirken (sehr) zufrieden, wenn sie Erfolge und Fachwissen weitergeben oder aus dem Privaten berichten dürfen. Nicht zu Wort zu kommen, scheint sie nervös zu machen. Dabei eröffnet gerade die eigene Zurückhaltung dem Gegenüber oftmals Raum, noch Unausgesprochenes zu artikulieren.
Gut zu kommunizieren, setzt also erst einmal voraus, gut zuzuhören. Wenn daraus spontan Ideen erwachsen, ist das umso besser. Das ist aber nicht immer der Fall. Manchmal müssen Ideen auch reifen (dürfen). Das gilt vor allem für komplexe Sachverhalte, die es bekanntermaßen für die Kommunikation herunterzubrechen gilt. Die Erwartungshaltung, entweder der Kommunikator:innen selbst oder die der Auftraggeber:innen, dass Ideen in Echtzeit sprudeln müssen, kann zuweilen sogar kontraproduktiv sein – was die Qualität der Ideen und ihre Umsetzbarkeit betrifft, aber auch bei der Rekrutierung, wahlweise Abschreckung von Kommunikationstalenten.
Fehlannahme 2: Extrovertierte sind die besseren Berater:innen.
Reden, ohne Luft zu holen, und telefonieren, bis das Ohr glüht – dieses Bild von Kommunikationsberater:innen ist ebenso verbreitet wie schief. Klar, sollte man als Berater:in keine Angst vorm Telefon oder einer Wortmeldung im Videocall haben. Und sicherlich gibt es Berater:innen, die genau dieses Bild verkörpern. Nichts für ungut, Andy. Aber dieser Stereotyp blendet einen entscheidenden Teil des Beraterdaseins aus: Kommunikation ist mehrdimensional. Verschiedene Kompetenzen sind notwendig, was etwa Themen, Formate oder Kanäle betrifft. Doch selten vereint eine einzelne Person alle erforderlichen Fähigkeiten. Na gut, der erwähnte Kollege kann nicht nur sprechen, sondern auch gut schreiben. Hier kommt aber, neben den von Natur aus limitierten zeitlichen Kapazitäten, ein weiterer Faktor ins Spiel: die persönlichen Präferenzen.
Wenn jemand gerne textet und eine tolle Schreibe hat, sollte er oder sie dieses Talent ausleben und weiterentwickeln können. Umgekehrt möge die- oder derjenige gerne das Telefon fest ans Ohr schnallen, wenn das am meisten Spaß macht. Zu welcher Fraktion ich gehöre, lässt sich sicherlich herauslesen. Fakt ist: Für gute Kommunikation braucht es all das. Aber eben nicht in einer Person.
Fehlannahme 3: Man kann zum oder zur Kommunikator:in erziehen.
Man könnte es auch so formulieren: In der Kommunikation(sberatung) haben sowohl die Extrovertierten als auch die Introvertierten ihre Daseinsberechtigung. Interessanterweise quillt das Netz geradezu über vor Ratschlägen, wie introvertierte Menschen ihre Zurückhaltung im Berufsleben überwinden können. Bei einer entsprechenden Schlagwortsuche zu extrovertierten Zeitgenossen finden sich unter Top-Ergebnissen vor allem Hinweise, wie man mit diesem Typus besser zurechtkommt.
Unabhängig von dieser fragwürdigen, weil wertenden Wahrnehmung des einen und des anderen Typs: Ich bin überzeugt, dass eine gute Kommunikationsberatung davon lebt, dass sie verschiedene Arten verbindet, an Themen heranzugehen und zu kommunizieren, und vielen Typen Raum gibt – den Lauten und Impulsiven, den Überlegten und Intellektuell-kritischen. Was nicht funktioniert, ist meiner Meinung nach, jemanden zu dem einen oder anderen Beratertypus (um-) zu erziehen. Wohl aber kann man sicherlich vielleicht bislang verborgene Talente freilegen und Freude daran wecken – ja, hier und da muss man das sogar auch.
Ohnehin ist sowohl Silodenken (im Sinne der eigenen Kompetenzen) als auch eine „Gleichschaltung von Beratertypen“ eher kontraproduktiv – zumal in einer Zeit, in der Kommunikation immer differenzierter wird. Eine gesunde Mischung verschiedener Herangehensweisen und ein bis zu einem bestimmten Grad generalistischer Ansatz sorgen nicht zuletzt dafür, dass sich das „richtige“ Team um die Kommunikation des jeweiligen Unternehmens kümmert. Das ist auch keineswegs statisch, denn die Anforderungen an Kommunikation ändern sich permanent. Und das gilt auch für die einzelne Person.
Einfach mal… die Klappe halten
Warum schreibe ich das eigentlich? Nun, die beiden oben zitierten Sätze sind nicht aus der Luft gegriffen. Sie wurden vor gar nicht mal allzu langer Zeit genauso an mich adressiert. Und haben mich zweifeln lassen: Ist ein ‚Nein‘ als Antwort ein persönliches Defizit? Ist es nicht. Denn viele andere Erfahrungen aus inzwischen 13 Jahren Berufsleben als Kommunikatorin in der Immobilienwirtschaft zeigen, dass weder die eine noch die andere Charaktereigenschaft oder Präferenz ein Manko darstellt. Es ist ja nicht so, dass ich schweigend in einem Call sitze, wenn ich ihn alleine bestreite. Wenn aber alles gesagt ist, dann ist es meines Erachtens eine Qualität, auch mal die Klappe zu halten.