Ist Medienkonsum aus der Zeit gefallen?

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Am 30. Januar hat der Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich auf seinem persönlichen Blog den Essay „Konsum als Arbeit“ veröffentlicht. Seine These in Kürze: Konsum galt und gilt heute teils immer noch als passiv, verschwenderisch, materialistisch, ist also negativ konnotiert. Produktion hingegen hat einen positiven Klang. So definierte man sich über seine Arbeit, durch die man auch gesellschaftliche Teilhabe erfuhr. Spätestens mit Aufkommen unserer westlichen Wohlstandsgesellschaften entwickelte sich aber nun immer mehr Wohlstand in immer breiteren Bevölkerungsschichten.

Heute wird wohl so viel konsumiert wie nie zuvor. Um seine negative Wahrnehmung zu überspielen, wird Konsum zu einer produktiven Tätigkeit umgedeutet. Wer kennt sie nicht, die Gespräche mit Freunden darüber, warum man sich nun dieses Handy oder Auto und nicht eines der anderen abertausenden Modelle gekauft habe? Der Kauf und die Lektüre von Ratgebern, Gespräche mit Fachhändlern usw. usf. Konsum wird zu einer arbeitsreichen Tätigkeit und stellenweise sogar zur moralischen Leistung.

Denken wir einmal an Fertiggerichte, eigentlich reine Konsumgüter. Etwa Nudelgerichte: Für die Zubereitung vermischt man das vorportionierte Tomatenmark mit einer ebenfalls vorbereiteten Kräuter- und Gewürzmischung. Eigentlich ein ohne weiteres industriell darstellbarer Fertigungsschritt. Ohne diesen „letzten Schritt“ kann sich der Konsument aber der Illusion hingeben, dass er etwas gekocht hat. Ein weiteres Beispiel: Möbelhändler lassen einen die Möbel nun selbst montieren. Über günstigere Preise wird dem Konsumenten sogar eine Art Arbeitslohn suggeriert. Höhepunkt sind sogenannte „Influencer“, die sich beim Konsumieren fotografieren und im besten Fall dafür von Unternehmen bezahlt werden. In den jüngeren Alterskohorten ist das ein häufig genannter Traumberuf.

In bald allen Branchen lassen sich Beispiele für diese These finden. Im Bereich der Kommunikation ist die Bedeutungsveränderung des Konsums wohl am augenscheinlichsten. Die etablierte Medienlandschaft – also die klassische Produktionsseite von medialen Inhalten – ist seit geraumer Zeit in der Krise und in wirtschaftlich schwieriger Lage. Konjunktur haben hingegen Inhalte „von unten“, von den einst reinen Konsumenten. Was zunächst Blogs waren, sind heute die Timelines oder Newsfeeds der einzelnen Nutzer von Facebook, Twitter, LinkedIn & Co. Es werden zwar nur selten wirklich eigene Inhalte erstellt, dafür aber bestehende Beiträge kommentiert oder über das eigene Profil mit Anmerkungen versehen und geteilt. So wird jeder mit geringem Aufwand letztlich zum medialen Produzenten und Kurator – wenigstens in der Selbstwahrnehmung. Social Media-Nutzer werden zum Gatekeeper für ihre Follower und entscheiden eigenständig darüber, welche Inhalte sie transportieren wollen. Das blieb früher ausschließlich Journalisten vorbehalten.

Was bedeutet das für Unternehmen und deren Kommunikation? Zeitungsleser lasen oder konsumierten Medien, schrieben vielleicht gelegentlich einen Leserbrief. Das höchste der Gefühle war, dass man plakativ die abonnierte – je nach politischer Gesinnung – Süddeutsche Zeitung oder Frankfurter Allgemeine Zeitung auf dem Wohnzimmertisch auslegte. Dieser Tisch ist von den Sozialen Medien abgelöst worden. Deren Nutzer – also wir alle – stellen sich auf ihren Profilen als produktiv und kreativ dar und stellen ihre eigene Medienauswahl aus, die sich aus einer Vielzahl bestehender Beiträge zusammensetzt.

Diese Logik verdrängt zum Teil althergebrachte Relevanzkriterien, etwa den Nachrichtenwert, Neuigkeitsfaktor etc. Es geht heute – entgegen aller Verlautbarungen – oft weniger um die Inhalte, sondern mindestens so sehr um die Botschaft, die der Konsument medialer Inhalte damit selbst sendet und wie er damit als Produzent wahrgenommen werden möchte. Man kann das mit Fug und Recht bedauern (Stichwort „Clickbaiting“) und es gilt sicherlich nicht pauschal.

Unternehmenskommunikation muss diese Logik, die neu erscheint, aber schon seit Jahren greift, berücksichtigen, wenn sie erfolgreich sein will. Das betrifft die technische Dimension: Inhalte müssen so aufbereitet sein, dass sie kommentierbar und teilbar sind. Aber es betrifft auch die inhaltliche Seite: wenigstens so wichtig wie der Gehalt eines Beitrags ist, dass sich der Leser mit dessen Kernbotschaft in irgendeiner Form identifizieren kann – und sei es negativ.

Trotz dieser offensichtlichen Herausforderung lohnt sich eine positive Blickweise: Viele Mediennutzer lassen sich heute nicht mehr als reine Konsumenten abspeisen, sondern wollen selbst produktiv und kreativ tätig sein. Wer Kommunikation auf Augenhöhe mit den Nutzern versteht und sie einbezieht, kann nur gewinnen. Durch gezielte Unternehmenskommunikation gewinnt man heute nicht mehr nur Leser, sondern Botschafter für die eigenen Inhalte. Und daraus ergibt sich eine wertvolle Multiplikation der Reichweite.

Hier der komplette Essay von Wolfgang Ullrich: https://ideenfreiheit.wordpress.com/2019/01/30/konsum-als-arbeit/

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